Wir wissen, wohin wir gehen, weil wir wissen, woher wir kommen

Was macht eine Bezirksvorsteherin eigentlich beruflich? Nun, bevor ich mein Leben ganz der Politik verschrieben habe, war ich Organisationsberaterin. Und davor Software-Spezialistin. Und noch früher habe ich Mathematik und Geschichte studiert.
Nichts davon möchte ich missen – aber vor allem die Historikerin in mir meldet sich immer wieder zu Wort. So wie „Die Schmetterlinge“ – einige der Bandmitglieder wohnen übrigens immer noch in Währing – singen: „Wir wissen, wohin wir gehen, weil wir wissen, woher wir kommen“, glaube auch ich, dass wir unsere Vergangenheit kennen müssen, um unsere Zukunft gestalten zu können. Individuell, und nochmal mehr gemeinsam.
Das gilt auch für unseren Bezirk. Es gibt Teile der Währinger Geschichte, die sind mittlerweile gut erforscht und vielen Währingerinnen und Währingern ein Begriff: die Entstehung des Bezirks aus den früheren Dörfern, die imposanten Villen des Cottage-Viertels und ihre häufig ebenso imposanten Bewohner*innen um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, warum der Türkenschanzpark Türkenschanzpark heißt und woher der Schubertpark seinen Namen hat.
Aber es gibt auch wesentlich unbekanntere Kapitel unserer Bezirksgeschichte. Wussten Sie, dass es früher eine Synagoge in Währing gab? Ein imposanter Tempel, Gebets- und Versammlungsort für über fünfhundert Personen – während der Pogrome im November 1938 zerstört und niedergebrannt. In der Schopenhauerstraße 39 erinnern heute eine Gedenktafel und ein symbolischer Davidstern als Lichtzeichen nicht nur an die Bedeutung dieses Orts.
Oder das Rothschild-Spital? Ein riesiger Komplex, eines der modernsten Krankenhäuser seiner Zeit, nach 1938 zunächst das letzte Spital in Wien, das noch Jüdinnen und Juden behandeln durfte, später Lazarett für verwundete Wehrmachtsoldaten, nach Kriegsende Durchgangsstation für „Displaced Persons“ und dann in den 1960er-Jahren abgerissen, um dem heutigen WIFI Platz zu machen.
Im Alltagsbewusstsein Währings ist kaum verankert, dass es vor 1938 eine starke jüdische Gemeinde in unserem Bezirk gab.
Und auch, dass es rund um den damaligen Kaplan von Gersthof, Dr. Heinrich Maier – ja, nach ihm ist die Straße in Pötzleinsdorf benannt – den Semperit-Geschäftsführer Franz Josef Messner und Hermann Klepell eine sehr aktive und wirksame Widerstandsgruppe in Währing gab, ist nicht allgemein bekannt. Alle drei wurden übrigens gefasst und 1945, noch in den letzten Tagen der Nazi-Herrschaft, hingerichtet.
Es war und ist mir wichtig, diese blinden Flecken in Währings Geschichte zu erhellen. Ich unterstütze nach Möglichkeit diesbezüglich engagierte Initiativen, wie das Lichtzeichen für den Währinger Tempel in der Schopenhauerstraße, eine Gedenkstele für Hermann Klepell oder die Erinnerungstafel für Franz Josef Messner. Oder die „Steine der Erinnerung“, die an immer mehr Adressen Währings an das Schicksal der früheren Bewohner*innen erinnern. Oder das Stück „Ich bin Ruth“ über die in Währing aufgewachsene, nach Norwegen geflüchtete und 22-jährig in Auschwitz ermordete Ruth Maier, das im Rahmen des kunst.fest.währing aufgeführt wurde. Oder die Benennung des Parks an der Hockegasse nach der als junge Jüdin emigrierten späteren Begründerin der Frauengeschichte, Gerda Lerner.
Als Bezirk haben wir außerdem eine Studie zur „Topographie der Shoa in Währing“ in Auftrag gegeben und darauf aufbauend eine Ausstellung inklusive Dokumentation zum Jüdischen Währing. Letztere war mehrere Wochen im Amtshaus zu sehen – dort, wo täglich Dutzende Menschen ihren Reisepass erneuern lassen oder ihr Parkpickerl verlängern.
Genug liegt noch im Dunklen, genug gibt es noch zu entdecken. Haben Sie schon einmal von Franz Ippisch gehört? Ich gerade eben zum ersten Mal. Und habe auf meiner Recherchereise durchs Internet entdeckt, wie es klingt, wenn die Militärmusik von Guatemala die „Erinnerungen an Bad Gastein“ eines emigrierten Komponisten aus Währing spielt. Und es wird wohl nicht die letzte Entdeckung gewesen sein.