Wir lieben unseren Schulvorplatz

„Weißt du Papa, eigentlich müsste es hier eine Rutsche über die Straße geben“, meinte Markus’ Tochter wie jeden Tag, wenn sie schnaufend an der Schulgasse standen und versuchten, hinüber zur Bunten Schule zu kommen. Keine leichte Übung, denn die Autofahrer*innen waren hier konsequent zu schnell unterwegs, und den Zebrastreifen hielten sie vermutlich für ein überambitioniertes Straßenmalkreide-Projekt.
Schon mehrfach hatten die Eltern interveniert, um mehr Sicherheit zu erreichen – doch das Einzige, was der frühere Bezirksvorsteher zugelassen hatte, war eine verhungerte Gehsteigvorziehung mit Absperrgitter zur Straße hin. Kaum Platzgewinn für die Kinder, und am gefährlichen Übergang hatte sich erst recht nichts geändert. Es dauerte deshalb nicht lange, kaum war ich Bezirksvorsteherin, und Markus – mittlerweile aufgrund seines Engagements zum Elternvereinsobmann gewählt – und die immer schon für die Sache kämpfende Schulleiterin standen bei mir im Büro. Eine Lösung müsse her – jetzt endlich.
Wir krempelten die Ärmel hoch und konsultierten als erstes die Verkehrsbehörde. Der ermutigende Befund: Das Problem wäre in erster Linie die überhöhte Geschwindigkeit des Autoverkehrs – nicht die Anzahl der Autos. Die sei so überschaubar, dass es durchaus möglich wäre, den Autoverkehr vor der Schule komplett herauszunehmen.
Das klang großartig – und gleichzeitig fühlte ich mich auch ein bisschen überfordert. Sollten wir uns das trauen? War das wirklich sinnvoll? Wer würde den gewonnenen Platz nutzen? Und wie könnten wir die dafür erforderliche Mehrheit in der Bezirksvertretung gewinnen?
Das alles galt es herauszufinden – und so starteten wir unser erstes großes Beteiligungsprojekt: Zunächst stellten wir eine große Grätzloase in die Parkspur vor der Schule – ein erster Geschmack von gewonnenem Raum. Die Eltern begannen, sich beim Warten auf die Kinder hinzusetzen, und zum ersten Mal kamen sie abseits der Whatsapp-Gruppen miteinander ins Gespräch. Und unterhielten sich darüber, was denn für einen zukünftigen Schulvorplatz wichtig wäre.
Eltern, Anrainer*innen, Geschäftstreibende, Parknutzer*innen und selbstverständlich die Kinder – alle wurden befragt, was ihnen wichtig wäre für das zukünftige Vorfeld der Schule, für das Stück Schulgasse zwischen Häuserfront und Schubertpark.
Und bald kristallisierte sich heraus: Es ging nicht nur um mehr Verkehrssicherheit, sondern auch um mehr Platz für die Schule mit ihren vollbelegten Klassenzimmern und dem viel zu kleinen Schulhof. Platz für Nachmittagsbetreuung, für Freiluftklassen, für Schulfeste. Und nicht nur die Schule würde Platz gewinnen, die gesamte Nachbarschaft würde von einer Erweiterung des viel genutzten Schubertparks profitieren.
Doch es gab auch heftigen Gegenwind: Die zukünftigen Umwege bei Autofahrten wurden ins Treffen geführt, wie auch der Verlust von Parkplätzen – bis zum Vorschlag eines findigen Projektgegners, doch besser einen Tunnel zu bauen, um die Kinder von der Schule gefahrlos über die Straße und in den Park zu bringen.
Am Ende wurde es weder die Rutsche noch der Tunnel, sondern eine schöne Lösung: Der Schulvorplatz wurde autofrei gestaltet, die andere Hälfte des Blocks blieb als Kompromiss mit einigen Parkplätzen befahrbar. Ein Gemeinschaftsgarten, eine lange Bank mit viel Platz zum Sitzen und Austauschen für die Eltern, Holzdecks und Balancierbalken für die Kids.
Markus war völlig begeistert, und die Schulleiterin erzählte mir schon kurze Zeit nach Eröffnung des Vorplatzes, dass sich das ganze Schulklima verändert hätte – es gäbe viel mehr Kontakt und Miteinander.
Und ich freu mich jedes Mal, wenn ich am Schulvorplatz vorbeikomme: der Trubel kurz vor Schulbeginn, untertags, wenn auf den Bänken Erwachsene ihre Laptops aufgeklappt haben oder eine Freiluftklasse den angrenzenden Schubertpark bevölkert, am Nachmittag, wenn beim Abholen die Kinder miteinander herumtoben und die Eltern plaudern, oder abends, wenn Jugendliche auf den Holzdecks chillen und Ältere aus der Nachbarschaft die letzten Sonnenstrahlen genießen. Und erst vor kurzem wurde ich direkt vor der Schule von jungen Eltern angesprochen: „Wir wollen Ihnen einfach nur sagen: Wir lieben unseren Schulvorplatz!“