Jakobs Baum

In diesem Fall begann alles mit einem Brief. Richtig gelesen: Nicht mit einer E-Mail, sondern mit einem echten, schönen, handschriftlichen Brief, inklusive liebevoll gestalteter
Zeichnung.
Er ist mir sofort aufgefallen in meiner Postmappe – solche Zusendungen kommen ja in unseren digitalen Zeiten wirklich nicht mehr so oft vor. Noch ungewöhnlicher war, dass der Brief nicht von einem Erwachsenen, sondern von einem Kind geschrieben war. Und zwar von Jakob, einem achtjährigen Buben.
Er wohne in der Theresiengasse, schrieb er, und er hätte sich sehr über die neuen Bäume gefreut, die wir dort im Rahmen eines Begrünungsprojekts gepflanzt hatten. Und jetzt würde er gerne selbst etwas für
die Umwelt tun. Ob er und seine Freunde nicht auch einen Baum pflanzen könnten?
Und da war er auch schon hingezeichnet, der zukünftige Baum im strahlenden Sonnenschein. Gerührt von dieser Initiative suchte ich nach Kontaktdaten – drei Mal drehte ich den Brief hin und her, aber da gab’s nichts. Keine Adresse, keine E-Mail, keine Telefonnummer. Gott sei Dank hatten meine Mitarbeiterinnen
das Kuvert noch nicht weggeworfen – da, auf der Rückseite, ganz wie es sich gehört, fand sich dann der Absender mit vollständigem Namen und Adresse.
Wir begannen also einen kleinen Briefwechsel: Ich schrieb Jakob, wie sehr ich mich über seine Idee freue, er erklärte mir nochmal, dass ihm mehr Bäume wirklich wichtig wären, und letztlich schickte er mir
die Telefonnummer seiner Mutter, damit wir alles Nähere ausmachen könnten.
Beim ersten Treffen musste ich den jungen Umweltkämpfer dann zuerst einmal ein bisschen enttäuschen: Wie das so ist in der Welt der Erwachsenen, ist alles viel komplizierter als man glaubt. Auch das Pflanzen
eines Baums. Ich erzählte ihm von Wasser- und Gasleitungen, die unter der Straße lägen und die es zu berücksichtigen gelte. Ich erzählte ihm vom richtigen Abstand zu Hausfassaden, damit Bäume gut wachsen könnten. Und ich erzählte ihm davon, dass genau in seinem Abschnitt der Theresiengasse in einigen Jahren Lagerflächen für die U-Bahn-Baustelle gebraucht würden und wir deswegen vorher keine Bäume dort pflanzen würden.
Er hatte interessiert zugehört – und obwohl er ganz verständnisvoll nickte, war seine wachsende Enttäuschung spürbar. Höchste Zeit, mit der guten Nachricht herauszurücken: Zwar nicht in der Theresiengasse, aber doch gleich um die Ecke in der Jörgerstraße planten wir gemeinsam mit dem Nachbarbezirk gerade ein größeres Projekt: Gehsteigvorziehungen, Trinkbrunnen für die heißen Tage, einen Radweg – UND: neue Bäume, um dieser Hitzeinsel so nahe beim Gürtel etwas Schatten entgegenzusetzen.
Ich zeigte Jakob die Fotomontage – wie die damals so graue Jörgerstraße mit den Bäumen in Zukunft aussehen würde. Er sah das Bild, und alle Enttäuschung war wie weggeblasen. „Das ist super!“ rief er. „Und
da dürfen wir einen Baum pflanzen?“
An einem ungewöhnlich warmen Tag im Mai war es dann so weit: Sechs kleine Aushilfsgärtner standen pünktlich bereit, um die Mitarbeiter der Gärtnerei bei der Pflanzung eines der Jörgerstraßen-Bäume zu unterstützen. Enthusiastisch machten sie sich ans Werk, die Pflanzgrube für den Baum auszuheben – und anfangs gab es ein großes Griss um die drei Schaufeln bei den Buben. Mit der Zeit lernten sie, dass
es ganz gut war, sich abzuwechseln – ist das Ausheben so einer Grube doch richtige Schwerarbeit. Und so groß die Motivation war, und sie auch nach einer kurzen Pause immer wieder zu den Schaufeln griffen – so dankbar waren sie auch, wenn zwischendurch die „großen“ Gärtner für größere Fortschritte beim Aushub sorgten.
Trotz schweißtreibender Arbeit ließen sich die tapferen Burschen jedenfalls bis zum Ende nicht entmutigen und waren begeistert dabei. Und als sie dann zum Abschluss auch noch die Erstgießung ihres
selbst gepflanzten Baumes vornehmen konnten, waren sie nicht nur sehr erschöpft, sondern auch sehr glücklich. Und heute? Heute kann man Jakobs Baum in der Jörgerstraße besuchen und ihm beim Wachsen zuschauen.