Drei Bänke zum 88er

Ich kannte sie lange, bevor ich Bezirksvorsteherin wurde. Nicht dem Namen nach – aber als treue Besucherin der Währinger Bezirksvertretungssitzungen war mir die ältere Dame schon in meiner Zeit als Bezirksrätin aufgefallen. Pünktlich zu Beginn der vierteljährlichen Sitzungen saß sie auf einem der Besuchersessel im Festsaal und verfolgte interessiert die Diskussionen der Währinger Bezirkspolitik.
Kaum war ich als neue Bezirksvorsteherin angelobt, kam sie auch schon in eine Sprechstunde zu mir: Berta Doblmayr, so stellte sie sich vor. Sie hätte ein Anliegen – und nachdem sie ja gleichsam auf Du und
Du mit der Bezirkspolitik sei, hätte sie sich angewöhnt, den direkten Weg zu suchen. Und darum ging’s: Sie sei zwar schon über achtzig, gehe aber noch immer gerne ins Theater. Und auf ihrem Nachhauseweg
im Cottage, von der Busstation zu ihrem Wohnhaus, wäre der angrenzende Grünstreifen mittlerweile so dicht bewachsen, dass der Gehsteig völlig im Dunklen läge. Vor allem für ältere Menschen wie sie sehr unangenehm – könne man doch leicht eine Unebenheit übersehen und stolpern.
Kleine Sache, große Wirkung. Ich musste schmunzeln über Frau Doblmayrs Direktheit und gleich am nächsten Tag sorgten wir dafür, dass die Sträucher zurückgeschnitten wurden.
Und ich freute mich auf ein Wiedersehen mit einer glücklichen Frau Doblmayr bei der nächsten Bezirksvertretungssitzung. Nur, sie kam nicht. Nicht bei der nächsten und auch nicht bei der übernächsten Sitzung. Ich begann mir ernsthaft Sorgen zu machen. Und dann meldete sich eine ihrer
Töchter bei mir:
Vor einiger Zeit wäre ihre Mutter unterwegs gewesen – bei Wind und Wetter. Beim Überqueren der Straße hätte eine dieser berüchtigten Wiener Westwind-Böen die alte Dame zusammen mit ihrem Regenschirm erfasst und wie Mary Poppins durch die Luft segeln lassen. Unsanfte Landung. Gebrochene Hüfte.
Seither sei ihre Mutter nicht mehr so gut zu Fuß wie früher, hätte es deswegen auch nicht zu unseren Sitzungen geschafft. Obwohl sie gerade eisern darum kämpfe, wieder selbständig mobil zu werden. Und
dabei sei ihr etwas aufgefallen: Früher hätte es an ganz vielen Ecken Parkbankerl gegeben – um kurz zu rasten, die Atmosphäre zu genießen oder mit Nachbarinnen zu plaudern. Viele davon würden jetzt fehlen
– wohin immer sie verschwunden wären. Mit ihrer ungewohnten Einschränkung sehe sie sich nun immer öfter gezwungen, auf den ungemütlichen Mauervorsprüngen der Gartenzäune halb lehnend, halb sitzend Platz zu nehmen, um so auf ihren Alltagswegen ein wenig Pause machen und ausruhen zu können.
Genau das wäre auch der Grund des Anrufs. Gemeinsam mit ihrer Schwester würde sie ihrer Mutter zum 88. Geburtstag gerne eine Parkbank schenken und diese im Cottage an geeigneter Stelle aufstellen
lassen. Ob das möglich wäre. Ja, selbstverständlich hatte das Vorhaben meine Unterstützung. Ich hatte zu
diesem Zeitpunkt schon gelernt, wie wichtig Bänke vor allem für ältere Menschen sind – für den Weg zum Einkauf oder zur Ärztin oder einfach in den nächsten Park. Und dass es wirklich ungemütlich ist, sich auf Mauervorsprünge zu setzen, konnte ich mir auch bestens vorstellen.
Blieb die wichtige Frage: Wohin mit der Bank? Um das herauszufinden, machten wir uns zu einem Spaziergang auf: Die noch immer recht wackelige Frau Doblmayr, ihre Tochter und ich gingen die Alltagswege der alten Dame ab. Und hielten fest, wo überall am Weg es ein zusätzliches Bankerl
braucht.
Letztendlich war klar, dass drei Sitzgelegenheiten vonnöten waren, für ein komfortableres
Fortkommen im Grätzl: je eine Bank auf dem Weg zum Bus, zur Apotheke und zum Supermarkt.
Blieb zuallerletzt noch die Frage der Finanzierung. Eine Bank wollten ihr ja ohnehin ihre Töchter schenken. Und weil mir Frau Doblmayr mittlerweile ans Herz gewachsen war, übernahm ich die Kosten für die zweite. Die dritte Bank finanzierte der Bezirk.
Die neuen Sitzgelegenheiten haben wir dann mit einem Glaserl Sekt eingeweiht und sind gleich ausgiebig probegesessen. Mittlerweile ist Frau Doblmayr über 90, hat jüngst auch einen Oberschenkelhalsbruch
hinter sich gebracht und kämpft mit großer Disziplin darum, weiter selbständig unterwegs zu sein. Die Bänke sind ihr immer noch eine große Hilfe.