Die Wunderulme von Gersthof

Wien und auch Währing haben einen reichen Sagen- und Anekdotenschatz, man denke nur an die Legende vom Wilden Mann. Und vielleicht schafft es ja auch diese ganz spezielle Geschichte über einen ganz speziellen Baum, in die Annalen unseres Bezirks aufgenommen zu werden:
Begonnen hat alles vor mehr als zwanzig Jahren am Gersthofer Platzl. Aus welchen Gründen auch immer wurde dort auf einer der langgestreckten Haltestelleninseln unter der S45 eine kleine Ulme gepflanzt. Ein seltsames Unterfangen, denn aufgrund des geringen Platzes und der großflächigen Versiegelung im gesamten Umfeld war nicht davon auszugehen, dass sich dieser Baum hier entwickeln würde – nach allen Regeln der Kunst hatte sie keine Überlebenschance.
Doch die Ulme wuchs und gedieh und wurde mit jedem Jahr größer und größer. Heute steht auf der grauen Haltestelleninsel inmitten des Verkehrsgeschehens ein prachtvoller, vitaler Baum – der Wiener Baumkataster bescheinigt unserer Ulme mittlerweile einen Stammumfang von bald eineinhalb und einen Kronendurchmesser von zehn bis zwölf Metern. Und das wiederum macht nicht nur Baumliebhaber*innen Freude, sondern auch all jenen, die hier an heißen Sommertagen im Schatten unserer Ulme auf eine Straßenbahn warten.
Hier könnte die Geschichte enden – wenn, ja wenn uns unsere Ulme nicht gerade durch ihr kraftvolles Wachstum mittlerweile immer wieder Kopfzerbrechen bereitete:
Nicht nur, dass sie im schmalen Stationsbereich selbst wenig Platz hat (den sie nach ganzer Möglichkeit ausnützt) – sie muss sich diesen Platz ja auch noch mit hunderten Fahrgästen täglich teilen. Und nicht nur, dass ihr mittlerweile alle ausweichen müssen – gerade weil unsere Ulme so vital ist, machen ihre Wurzeln den Bodenbelag immer wieder rissig und uneben und stellen damit, bildlich gesprochen, den Leuten ein Haxl.
Klarerweise ein Problem für die Wiener Linien, die ja für die Sicherheit ihrer Fahrgäste verantwortlich sind. Und so kam es, dass sie schon vor einigen Jahren beschlossen, diesen Baum entfernen zu lassen. Rechtlich dürften sie das – in diesem Fall schlägt das Eisenbahngesetz das Wiener Baumschutzgesetz.
Ich habe damals beschlossen, um diesen Baum zu kämpfen, solange es nur irgendwie geht. Erstens, weil es einfach schade wäre um diesen prächtigen Baum, der sich gegen alle Rahmenbedingungen bester Gesundheit erfreut. Und zweitens, weil unsere Ulme eben die beste Beschattung für den Haltestellenbereich dort ist. Ist sie einmal weg, wird dort wohl nie wieder ein Baum gepflanzt – alle geltenden Regeln und Normen stehen dem entgegen – und keine noch so ausgeklügelte künstliche Beschattung kann die Wirkung der Ulme ersetzen.
Also treffen wir uns seither in regelmäßigen Abständen vor Ort – Wiener Linien, Wiener Stadtgärten, Straßenverwaltung und Bezirk – und schauen, was zu tun ist, damit der Baum bleiben kann und trotzdem die Sicherheit der Fahrgäste soweit wie möglich gewährleistet ist.
Das geht vom provisorischen Ausbessern der aufgebrochenen Fugen über eine Erneuerung der gesamten Oberfläche rund um den Baum (mit wassergebundener Wegedecke – die ist zwar nicht so haltbar wie Asphalt, lässt aber dem Baum doch Wasser und Luft) bis zu umfassenden Maßnahmen, wie wir sie zuletzt vornehmen mussten:
Unsere Wunderulme, wie ich sie insgeheim nenne, hatte nämlich begonnen, mit ihren Wurzeln die Randsteine des Stationsbereichs Richtung Gleise zu drücken. Und das hat bedeutet: Randsteine herausnehmen, unter Aufsicht eines Baumsachverständigen die Wurzeln, die die Gleise gefährden, hinter ein Wurzelschutzpaneel bringen bzw. fachmännisch beschneiden und versorgen, und dann Randsteine und Oberfläche möglichst baumschonend und gleichzeitig gut für die Fahrgäste wiederherstellen.
Das ist schon einigermaßen aufwändig – aber bis jetzt hat es uns unsere Wunderulme noch immer mit weiterem Wachstum und sommerlichem Schatten gedankt. Ich werde jedenfalls weiter für sie kämpfen – damit wir uns noch lange an diesem großartigen Baum erfreuen können, der in einem Stück grauer Betonwüste Schatten und gute Laune spendet. Weil er uns tagtäglich daran erinnert, dass auch unmöglich Scheinendes durchaus möglich ist.