Alles Gute zum Geburtstag!

Eine der persönlichsten und schönsten Aufgaben für meinen Stellvertreter Robert und mich sind die Gratulationsbesuche bei runden Geburtstagen für über 90-jährige Währinger*innen. Obwohl wir beide diese Besuche jetzt schon seit bald zehn Jahren machen, gibt es einzelne Begegnungen, an die wir uns besonders gut erinnern, weil sie uns so berührt haben.
Für Robert war eine davon die Feier eines Geburtstags in der Severin-Schreiber- Gasse. In ihrer Wohnung im zweiten Stock wurde er von einer zierlichen, feinen alten Dame empfangen. Es war, erzählte mir Robert, wie wenn er in eine alte Fotografie gestiegen wäre, so saß die Jubilarin in ihrer Fensternische, von der Sonne angestrahlt. Ihre Tochter, selbst schon im fortgeschrittenen Alter, war extra wegen Roberts Geburtstagsbesuch aus Kärnten angereist.
Dann saßen sie zu dritt bei Kaffee und Mehlspeise, und Robert ließ sich verzaubern von der Lebenserzählung dieser wachen, empfindsamen und gescheiten Frau. Ihr Großvater war Paul von Vitorelli gewesen, der letzte k.u.k. Justizminister und ehemaliger Verfassungsgerichtshofpräsident. Sie selbst war von Berufs wegen wirtschaftliche Diplomkauffrau, doch was ihr echten Halt und Trost gegeben hätte in ihrem Leben, war immer die Musik und das Streicherensemble, in dem sie privat Geige gespielt hatte. Sie erzählte Robert, der ja selbst großer Kunstliebhaber ist, von der Bedeutung der Musik und Kunst in ihrem Leben. Sie sprach von ihrer Geige und davon, was es für einen Verlust für sie bedeutet hatte, die Fähigkeit, ein Instrument zu spielen, im Alter langsam zu verlieren. Das intensive Gespräch mit der betagten Dame begleitet Robert bis heute. Und obwohl seit dem Besuch schon einige Jahre vergangen sind, denkt er immer noch jedes Mal an sie, wenn er an ihrem Haus vorbeikommt und schaut, ob er sie zufällig sieht.
Eine andere Geschichte, die Robert seit Jahren begleitet, war der 90. Geburtstag einer ehemaligen Lehrerin. Ursprünglich hatte sie im 21. Bezirk gelebt, war aber nun aufgrund ihrer fortschreitenden Erblindung und weil sie den Alltag nicht mehr alleine meistern konnte ins Carolusheim in Währing übersiedelt. Sie hatte keine Familie, und die zwei, drei Freundinnen lebten in Floridsdorf und waren wegen ihres hohen Alters selbst wenig mobil. Also bekam die Dame keinerlei Besuche mehr in ihrer neuen Bleibe. Die plötzliche Einsamkeit, die schleichende Erblindung, das neue Leben in Währing – die alte Dame war in ihrer gesamten Persönlichkeit zutiefst verunsichert. Robert nahm an ihrer Seite Platz, servierte Kaffee und Kuchen und hörte zu. Sah, wie sie da so saß, in ihrer neuen Umgebung, und durch ihre Erblindung nicht mehr so genau wusste, wie sie hergerichtet war und wie sie wirkte auf ihren Besucher. Wie die späte Blindheit so ein plötzliches Verlorensein in dieser Welt für sie bedeutete. Diese spürbare Verunsicherung und Einsamkeit haben sich tief bei Robert eingeprägt, vor allem, weil sie in einem starken Gegensatz zu der sonst so jugendlichen Anmutung und dem frischen Wesen der Dame standen.
Um sich an alle Geburtstagsbesuche zu erinnern und die Menschen und Begegnungen nicht zu vergessen, hat sich Robert ein eigenes Notizbuch zugelegt. Sein größter Wunsch wäre es, mehr Energie und Zeit zu haben, um all diese beeindruckenden Menschen, auch die zwei Damen, die ihn so besonders bewegt haben, regelmäßig besuchen zu können.
Und mich beschäftigt immer wieder die Idee, aus all diesem geschichtlichen Schatz, den wir bei unseren Gratulationsbesuchen von unseren ältesten Währinger Mitbürger*innen geschenkt bekommen, ein Forschungs- und Biographiearbeitsprojekt zu machen. Damit dieses ganz persönliche Stück Wiener Bezirksgeschichte für alle erhalten bleibt, die nicht das Privileg haben, all diese Menschen persönlich kennenzulernen und, wie Robert sagt, „in deren intime Welt vorsichtig reinhören zu können.“