Aufregung im Pensionistenwohnhaus

Sie müssen uns helfen. Wenn meine Mutter nochmal umziehen muss, dann überlebt sie das nicht.“ Es war der dramatischste Hilferuf an diesem Vormittag, aber bei weitem nicht der einzige. Bewohner*innen des Pensionistenwohnhauses an der Türkenschanze und ihre Angehörigen meldeten sich in heller Aufregung und baten mich um Unterstützung. Nach mehreren Telefonaten, auch mit den Verantwortlichen der Stadt und im Haus selbst, wusste ich dann, was los war – es machte nur die Sache nicht besser:
Die zuständigen Stellen der Stadt hatten entschieden, das Haus an der Türkenschanze solle mehr Pflegeplätze bekommen – eine Maßnahme, die ich durchaus unterstützte. Die Kapazitäten waren gering und die Sorge, dass sie im Fall von temporärem oder dauerhaftem Pflegebedarf nicht im Haus bleiben könnten, bei den Bewohner*innen selbst und auch ihren Angehörigen permanent vorhanden.
Soweit, so gut. Gar nicht gut war allerdings das Vorgehen zur Freimachung des für den Umbau vorgesehenen Gebäudeteils. Ohne Vorwarnung war den Bewohner*innen eine Liste mit Zimmernummern ausgeteilt worden, die bezeichneten, wer in den nächsten sechs Monaten ausziehen müsste. In ein anderes Haus. Irgendwo in Wien. Punkt.
Bei einer kurzfristig angesetzten Sprechstunde im Wohnhaus herrschte helle Aufregung. Der ganze Raum war voll von aufgebrachten und verzweifelten Menschen, manche sprachen von Selbstmord und meinten, sie würden sich eher aus dem Fenster stürzen, als dass sie noch einmal umzögen. Und wenn man sich nur ein bisschen in diese alten Menschen hineinversetzte, war diese Aufregung sehr nachvollziehbar:
Umzüge sind für uns alle anstrengend und nervenaufreibend. Logistisch, und für die Seele: Das alte Zuhause zu verlassen und anderswo neu zu beginnen – das ist meist eine Herausforderung.
Ganz besonders gilt das für die Übersiedlung in ein Pensionistenwohnhaus. Der Anlass ist meist eine massivere gesundheitliche Einschränkung, der Tod des Partners oder der Partnerin oder schlicht die Erkenntnis, dass man sich das Leben nicht mehr selbst organisieren kann. Der Abschied von der Wohnung, in der man meist Jahrzehnte gewohnt hat, fällt nicht leicht – und die meist um einiges kleineren Wohneinheiten im Wohnhaus zwingen darüber hinaus zum Abschied von so vielen liebgewordenen Büchern, Bildern, Gegenständen, Erinnerungen.
Dann hat man es geschafft, sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden, hat seinen Frieden gefunden mit der Idee, hier die letzten Jahre seines Lebens zu verbringen – und bekommt plötzlich per Liste und Zimmernummer mitgeteilt, dass man ausziehen müsse. Das kann einem schon den Boden unter den Füßen wegziehen.
Ich nahm Kontakt mit den Verantwortlichen auf, schilderte die Situation, warb um Verständnis, ersuchte um behutsameres und rücksichtsvolleres Vorgehen. Ich weiß bis heute nicht, woran es lag, aber ich drang nicht durch. Und so machte ich dann etwas, was ich üblicherweise vermeide – weil die Kooperation mit der Stadt üblicherweise funktioniert und sich fast immer Lösungen finden lassen. Aber in diesem Fall eben nicht, und so sah ich keinen anderen Weg, als meine Kritik an diesem Vorgehen öffentlich zu machen.
Die Medien griffen den Ball auf, der Druck wurde groß – und letztendlich zog die Stadt zurück. Keine Übersiedlungen, kein Umbau, keine zusätzlichen Pflegebetten. Damit war das kurzfristige Unheil abgewendet, das eigentliche Problem aber immer noch ungelöst.
Und so war ich froh, als einige Monate später der neue Leiter der Wiener Pensionistenwohnhäuser Kontakt mit mir aufnahm. Sie wollten die Sache mit dem Umbau noch einmal angehen, aber diesmal mit frühzeitiger Einbindung aller Beteiligten: Mit allen vom Umbau Betroffenen würde das persönliche Gespräch gesucht und der Umbau so organisiert, dass alle innerhalb des Hauses umziehen würden können.
Dieser Prozess ist mittlerweile gelaufen und mit viel Einfühlungsvermögen für alle eine gute Lösung gefunden. Der Umbau ist bald abgeschlossen, und das Haus an der Türkenschanze in Zukunft auch mit Pflegekapazitäten gut ausgestattet. Und ich freue mich einfach darüber, dass dieses Happy End letztendlich doch noch gelungen ist.