Woher hat diese Frau die Kraft genommen?
Ich begegnete dem Namen Gabriele Proft zum ersten Mal 2011, als ich gemeinsam mit anderen anfing, zum Währinger Frauenweg zu recherchieren. Gabriele Proft, eine dieser ersten acht Frauen, die 1919 als Abgeordnete in den Nationalrat einzogen – mit ihren sozialdemokratischen Kolleginnen Anna Boschek, Emmy Freundlich, Adelheid Popp, Therese Schlesinger, Amalie Seidel und der Christlichsozialen Hildegard Burjan.
Seither weiß ich einiges mehr über Gabriele Proft – und erlauben Sie mir heute anlässlich dieser Benennung eine persönliche Annäherung an diese Frau, die über 60 Jahre lang – von der Monarchie über die Erste Republik, im Widerstand gegen Austrofaschismus und Nationalsozialismus, bis in die Zweite Republik hinein – dieses Land geprägt und gestaltet hat.
Gabriele Proft: Politikerin, Näherin, Journalistin. Hausgehilfin, Parteifunktionärin, Gewerkschafterin. Politisch Verfolgte, Widerstandskämpferin, Frauenrechtlerin.
Ich frage mich: Woher hat diese Frau die Kraft genommen?
Aus einfachen Verhältnissen kommend, ohne ausreichende Schulbildung, als Siebzehnjährige aus wirtschaftlicher Not von der Provinz in die Großstadt migriert – woher hat diese Frau die Kraft genommen, zu einer der führenden Frauen und Intellektuellen der österreichischen Politik zu werden? Jahrzehntelang um Frauenwahlrecht, Bildungszugang für Mädchen, Reformen von Ehe- und Familienrecht und so vieles mehr zu kämpfen – um dann das Erreichte von Austrofaschismus und Nationalsozialismus demontiert zu sehen und selbst verfolgt zu werden – um dann als 66-jährige erneut den Kampf aufzunehmen, im auch und gerade in Frauenfragen konservativ-reaktionär gebliebenen Nachkriegsösterreich?
Woher hat diese Frau die Kraft genommen?
Ich kann nur Vermutungen anstellen – aber zum einen war da wohl die Nähe zu denen, für die sie gekämpft hat. In der Gewerkschaft der Heimarbeiterinnen, im Kampf um Rechte und Schutz der Arbeiterinnen. Sie wusste wohl genug Frauen, die unter dem Ehe- und Familienrecht litten oder der rechtlichen Schlechterstellung von Lebensgefährtinnen. Und wie groß die Not vieler Frauen war, wenn sie ungewollt schwanger wurden. So fand sie – neben vielen anderen Tabubrüchen – auch die Kraft, gemeinsam mit Adelheid Popp 1920 (!) den ersten Antrag auf Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs einzubringen.
Zum anderen kam ihre Kraft vermutlich aus jenem zutiefst verinnerlichten Bewusstsein, das sich in diesen Zeilen der Internationale ausdrückt:
Es rettet uns kein höhres Wesen,
kein Gott, kein Kaiser, noch Tribun.
Uns aus dem Elend zu erlösen,
können wir nur selber tun!
Und Gabriele Proft war es ein großes Anliegen, nicht nur selbst politisch aktiv zu sein, sondern die Frauen insgesamt zu ermutigen, zu ermahnen, zu befähigen, politisch zu agieren und gemeinsam zu kämpfen: Egal, ob es um die Rechte der Frauen geht, um menschenwürdiges Wohnen, um die Bekämpfung von Armut und Hunger oder um den Kampf um einen bewohnbaren Planeten auch für unsere Kinder und Enkelkinder – wir können es nur selber tun und wir müssen gemeinsam kämpfen.
Sie war die Mitbegründerin des „Vereins sozialdemokratischer Frauen und Mädchen“, sie unterrichtete in den von der Sozialdemokratie eingerichteten Frauen-Schulen, in denen Frauen für Politik interessiert und befähigt werden sollten. Auch ihre Artikel und Beiträge zeigen, wie wichtig es ihr war, die Frauen als politische Akteurinnen zu sehen und zu gewinnen – mit Titeln wie „Wie organisieren wir die neuen Arbeiterinnen?“, „Die politisch gewordene Frau“, „Die Frau als Wählerin“ oder „Die Frau als Volksvertreterin“.
In ihrem langen Atem und ihrer Unbeirrbarkeit ist Gabriele Proft für mich so etwas wie die Johanna Dohnal der Ersten Republik. Und dass es diesen langen Atem nicht nur im Widerstand, sondern auch nach Ende des Nationalsozialismus brauchen würde, war ihr sehr schnell klar. Gleich 1945 veröffentlichte sie ihren Beitrag: „Der Weg zu uns! Die Frauenfrage im neuen Österreich“ – und kämpfte weiter.
Gemeinsam mit Adelheid Popp hatte sie schon 1925 einen Antrag auf Reform des Familienrechts im Sinne der „Gleichstellung der Geschlechter“ eingebracht – und war an der Mehrheit von Christlichsozialen und Großdeutschen gescheitert. Nach dem Krieg nahm sie gemeinsam mit dem sozialistischen Justizminister Otto Tschadek den Faden wieder auf, doch der bis 1951 ausgearbeitete Reformvorschlag scheiterte wiederum im Parlament – und sie blieb mit ihren damals 72 Jahren die einzige Rednerin, die das Absurde des aus dem Jahr 1811 stammenden und 1951 immer noch gültigen §91 des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches festhielt, in dem der „Mann als Haupt der Familie“ festgeschrieben war.
Es sollte bis in die 1970er und 1980er Jahre dauern, und Gabriele Proft hat dies alles nicht mehr selbst erlebt – bis vieles von dem, was sie dachte, formulierte und forderte – eben die Modernisierung des Familien- und Eherechts, die Gleichstellung der Frauen in allen Lebensbereichen, der Schwangerschaftsabbruch, zwar noch immer nicht entkriminalisiert, aber über die Fristenlösung zumindest ermöglicht – dass vieles davon, vor allem durch Johanna Dohnal, umgesetzt wurde. Und heute mit großer Mehrheit nicht nur rechtlich, sondern auch gesellschaftlich verankert ist.
Dass sich dieser Kampf, diese Hartnäckigkeit, diese Unbeirrbarkeit letztendlich doch gelohnt haben – das kann und soll auch uns heute Kraft geben – uns schon etwas älteren Frauen, die wir schon einiges gekämpft haben in unserem Leben, und auch den jungen Frauen, die gerade jetzt erleben müssen, dass je klüger, beherzter und wirksamer sie kämpfen, desto stärker auch die beharrenden und damit gegnerischen Kräfte zurückschlagen.
Und so möchte ich mich zum Schluss bei allen bedanken, die dazu beigetragen haben, dass diese Benennung heute stattfindet – allen voran Elisabeth Kaiser und ihren Kolleg*innen, die den Antrag zur Benennung eingebracht haben, und Stadträtin Katrin Gaál, dass die Stadt diese Benennung nun vornimmt. Ich freue mich sehr, dass Gabriele Proft hier im 18. Bezirk nun mit dieser Benennung geehrt wird.
Diese Rede habe ich am 7. Mai 2024 anlässlich der Benennung des Gemeindebaus in der Messerschmidtgasse 33 – 37 in Gabriele-Proft-Hof gehalten.
Gabriele Franziska Proft wurde am 20.02.1879 in Troppau (Schlesien) geboren. Sie war die älteste Tochter des Schuhmachers Josef Jirsa und seiner Frau Magdalena. Sie besuchte die Volksschule und danach die Bürgerschule in Troppau, musste diese aber nach dem Tod ihrer Mutter vorzeitig abbrechen, um dreizehnjährig als Dienstmädchen und als Hilfsarbeiterin in einer Weißwäscherei zum Unterhalt der jüngeren Geschwister beizutragen. 1896, im Alter von siebzehn Jahren, ging sie nach Wien, wo sie als Kindermädchen und Näherin Verdienstmöglichkeiten fand. Am 6.4.1971 ist sie in Bad Ischl gestorben.