Gerda Lerner zum 100. Geburtstag
(30.04.2020) Ich habe sehr spät von Gerda Lerner erfahren – eigentlich erst durch eine Zeitungsnotiz anlässlich ihres Todes im Jahr 2013. Gemeinsam mit zwei grünen Kolleginnen arbeitete ich damals an der Redaktion des Währinger Frauenwegs und nach kurzer Recherche war klar: Dieser Frau gehört eines der Frauenweg-Porträts gewidmet. Und so ist es dann auch passiert.
Mittlerweile wurde die neu gestaltete Parkanlage an der Hockegasse nach Gerda Lerner benannt. Und im 19. Bezirk gibt es einen Gerda-Lerner-Hof. Und doch ist diese inspirierende Frau für viele Menschen immer noch eine Unbekannte, obwohl gerade wir Frauen ihr so viel zu verdanken haben.
1920 in Wien in eine wohlhabende jüdische Familie geboren, verlebte Gerda eine unbeschwerte und behütete Kindheit. Diese endete abrupt mit den Februarkämpfen im Jahr 1934. Dass auf Arbeiterfamilien in den Gemeindebauten geschossen wurde, erschütterte Gerda zutiefst und schon als 14-jährige engagierte sie sich im Widerstand. Nach dem Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland gelang es der Familie nach Liechtenstein zu entkommen, Gerda selbst emigrierte in der Folge in die USA.
Dort schlug sie sich mehr schlecht als recht durch – in einem später geführten Interview meinte sie, dass sie „jeden Drecksjob gemacht habe, den es für Frauen gab, jeden.“ Sie heiratete, bekam zwei Kinder, fing wieder an, sich politisch zu engagieren. Neben der Communist Party und dem Congress of American Women war sie schon bald in der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung aktiv – wusste sie doch selbst nur zu gut, was es bedeutet, rassistisch verfolgt zu werden.
Ihre Berufung sollte Gerda Lerner finden, als sie mit 38 Jahren ihr Geschichtsstudium begann. Sie interessierte sich vor allem für die Geschichte der Frauen – und stieß auf ein seltsames Dogma der damaligen Geschichtswissenschaft: Es wäre unmöglich, Frauengeschichte wissenschaftlich zu erforschen. Weil es nämlich keine Quellen gäbe.
Gerda Lerner nahm das nicht hin. Es gelang ihr, 1966 als Erste über ein frauengeschichtliches Thema zu promovieren – über die Schwestern Grimke, die im 19. Jahrhundert in South Carolina gegen die Sklaverei gekämpft und sich zugleich für die Rechte von Frauen und Schwarzen eingesetzt hatten. In der Folge widerlegte sie das lang gepflegte Dogma mit umfassenden Quellensammlungen wie „Black Women in White America“ (1972 veröffentlicht) und „The Female Experience“ (1977).
Sie wurde Gründungsmitglied der National Organization for Women (NOW), der heute größten feministischen Organisation in den USA. 1972 etablierte sie das landesweit erste Masterprogramm und 1990 den landesweit ersten Promotionsstudiengang für Frauengeschichte. Für ihr restliches Leben, auf allen Ebenen, im In- und im Ausland, unternahm sie zahlreiche Bemühungen, das Fach an den Universitäten und in der Öffentlichkeit zu etablieren.
Neben vielen internationalen Auszeichnungen zollte ihr 1995 auch ihr Geburtsland mit dem Käthe-Leichter-Preis und ein Jahr später mit dem Österreichischen Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst Anerkennung.
Ich konnte Gerda Lerner nicht mehr persönlich kennen lernen. Umso mehr hat es mich gefreut, mit ihrer Tochter Stephanie bei einem ihrer Wien-Besuche den Währinger Frauenweg im Pötzleinsdorfer Schloßpark zu besuchen und ihr den Gerda-Lerner-Park zu zeigen. Stephanie war ganz begeistert von der kleinen, von spielenden Kindern und plaudernden Erwachsenen belebten Parkanlage und freute sich sehr darüber, dass der Name ihrer Mutter mit diesem lebendigen Ort verknüpft ist.
„Feuerkraut“ („Fireweed“), so lautet der Titel von Gerda Lerners „politischer Autobiographie“. Wenn nach einem Waldbrand alles schwarz, verbrannt und verdorrt ist, und kein Leben mehr möglich scheint, „dann kommt das Feuerkraut aus der toten Erde, zuerst mit grünen Sprossen, dann mit rosa Blüten. Aufs Überleben zielend, drängt es seine beharrlichen Wurzeln unter die Asche, unter den zerstörten Boden. Und bald gibt es dann Klumpen von rosarotem Wachstum, die sich verbreiten und vertiefen und langsam und geduldig neue Erde machen werden. Dann kommen Hoffnung und neues Leben. Es ist geradeso, als ob Feuerkraut einen Wald erschaffen könnte.“ So endet das Buch.
Gerda Lerner hat mit ihrem Leben einen ganzen Wald erschaffen. Heute, am 30.04.2020, wäre sie 100 Jahre alt geworden.