Höchste Zeit im Klimafahrplan

Höchste Zeit im Klimafahrplan

Die Zeit drängt. Beim Klimaschutz sind Österreich und Wien eindeutig hinten nach. Der Wiener Klimafahrplan soll konkret machen, wie diese Verspätung aufzuholen ist. Eine kritische Auseinandersetzung.

Der Wiener Klimafahrplan ist Teil der neuen Klima-Governance Struktur und legt alle Ziele der Stadt Wien im Klima- und Energiebereich fest. Darüber hinaus wurde mit dem Plan auch ein Maßnahmenpaket vorgelegt, mit dem diese Ziele erreicht werden sollen.

Vor einem Jahr, im Februar 2022, hat der Wiener Gemeinderat mit den Stimmen von SPÖ, ÖVP, GRÜNEN und NEOS den Wiener Klimafahrplan beschlossen. Um „aus der Klimakrise keine Klimakatastrophe werden zu lassen“, wird das Ziel Klimaneutralität bis 2040 in konkrete Maßnahmenbündel übersetzt. Heruntergebrochen auf einzelne Handlungsfelder wie Mobilität, Gebäude, Strom- und Fernwärmeerzeugung werden wichtige „Hebel“ identifiziert, um die notwendige Reduktion der Treibhausgasemissionen voranzutreiben.

Angesichts der Dringlichkeit des Problems lohnt eine kritische Auseinandersetzung. Als Auftakt und Einladung dazu hier einige wichtige Kritikpunkte:

Umstieg auf Strom und Fernwärme greift zu kurz

Wie viele andere Klimastrategien setzt auch der Wiener Klimafahrplan darauf, in ganz vielen Bereichen fossile Energie durch Strom bzw. Fernwärme zu ersetzen:

Der Umstieg auf E-Autos wird vorangetrieben, Gasthermen werden durch Fernwärme oder Strom-Wärmepumpen ersetzt, weite Teile der Produktionsprozesse werden elektrifiziert und Niedertemperaturprozesse wie Trocknung oder Glashausbeheizung von Gas auf Fernwärme umgestellt. Dazu kommt der abzusehende Mehrbedarf durch Klimaanlagen und Gebäudekühlung.

Doch Strom und Fernwärme sind nicht automatisch CO2-neutral: Schon für den jetzigen Bedarf müssen bei ihrer Produktion erhebliche Mengen an fossilen Energien eingesetzt werden. Und nun soll dieser Bedarf an allen Ecken steigen. Auch wenn wir mit Hochdruck am Ausbau von Wind-, Photovoltaik- und Geothermie-Anlagen arbeiten – es ist mehr als fraglich, ob und wie wir diesen steigenden Bedarf CO2-neutral decken können.

Wir werden Prioritäten setzen müssen, wofür wir in Zukunft wie viel Energie verbrauchen wollen. Der Klimafahrplan vermeidet hier Klartext: Dass Öffi-Fahren, Radfahren und Zu-Fuß-Gehen Vorrang hat vor dem E-Auto. Dass Gebäudedämmung mit dem Umstieg auf Fernwärme und Strom-Wärmepumpen Hand in Hand gehen muss. Dass die klimafreundlichste Kilowattstunde nicht die ist, die aus erneuerbaren Energien gewonnen wird, sondern die, die im Verbrauch eingespart wird.

Viel E-Auto, wenig Mobilitätswende

Vermissen lässt der Klimafahrplan diesen Klartext auch und besonders beim Klima-Sorgenkind Nummer 1, dem Verkehr. Zwar wird festgehalten, wo wir in Wien stehen und wo wir hinmüssen: „Sowohl aus Gründen der Klimaanpassung als auch des Klimaschutzes müssen wir die Wende von einer autozentrierten Verkehrspolitik zu einer menschengerechten Mobilitätspolitik beschleunigen.

Es wird auch benannt, was das bedeutet: Bis 2030, also in nicht einmal 8 Jahren, soll der Autobestand in Wien um ein Drittel reduziert werden, die Anzahl der Autofahrten um fast die Hälfte.

Um das zu erreichen, bräuchte es allerdings den Mut zu Maßnahmen, die klar signalisieren: Wir müssen sehr bald weniger Auto fahren und auch weniger Autos haben. Diesen Mut und diese Konsequenz hat der Klimafahrplan leider nicht und belässt es zu oft beim Umstieg aufs E-Auto als Lösung.

Wiens größter Hauseigentümer bleibt unerwähnt

Neben der Mobilität das zweitwichtigste Handlungsfeld für eine klimafreundliche Stadt ist der Sektor Gebäude mit Wärmedämmung, Stromverbrauch, Heizen und Kühlen. Das wird auch klar benannt. Völlig unerwähnt bleibt allerdings die zentrale Rolle der Stadt als Wiens größter Hauseigentümerin – und damit die Aufgabe, im Wohnbau einmal mehr Pionierarbeit zu leisten und die Wiener Gemeindebauten so rasch wie möglich klimafit zu machen.

Klimaanlagen – das nicht benannte Problem

Regelungen und Einschränkungen von Klimaanlagen sind vermutlich nicht sehr populär – werden sie doch zunehmend zur naheliegenden individuellen Lösung in heißer werdenden Sommern. Und gleichzeitig verschärfen sie das Problem:

Sie brauchen klimaschädliche fluorierte Gase. Sie brauchen viel Strom. Sie erzeugen beträchtliche Abwärme und lösen so im dicht verbauten Gebiet eine Kettenreaktion in der Nachbarschaft aus: Wenn eine Wohnung mit Klimaanlage den Innenhof aufheizt, können auch die anderen irgendwann nicht mehr bei offenem Fenster schlafen. Was den Druck erhöht, sich selbst eine Klimaanlage zuzulegen.

Es geht also nicht darum, wer sich eine Klimaanlage leisten kann – es geht schlicht darum, dass wir uns gemeinsam (fast) keine Klimaanlagen leisten können, wenn wir die Ziele des Klimafahrplans ernst nehmen. Auch hier lässt der Klimafahrplan Klartext vermissen.

Das Gute am Wiener Klimafahrplan

Seit dem Beschluss des Wiener Klimafahrplans ist einmal mehr ein Jahr vergangen. Von der Klimakrise völlig unbeeindruckt ist weiterhin die Rede davon, dass es noch mehr Straßen braucht, weil „die Autos nicht weniger werden“, dass es für den Wirtschaftsstandort Wien wichtig ist, dass man „staufrei mit dem Auto zum Flughafen fahren kann“, dass das Ziel von Wien Tourismus sein muss, wieder mehr Gäste aus Übersee nach Wien zu bringen. Und dass die Jugendlichen, die sich aus Sorge um ihre Zukunft auf die Straße kleben, ein größeres Problem sind, als jene, die diese Zukunft dabei sind zu verspielen.

Seit mehr als 30 Jahren wissen wir über die Klimakrise Bescheid. Und haben trotzdem zu wenig, in Österreich und Wien besonders wenig dagegen unternommen. Wir müssen endlich aufhören, uns wie Kinder zu benehmen, die wissen, dass sie in zwei Wochen Schularbeit haben und es hoch an der Zeit ist zu lernen – und die trotzdem Tag um Tag verstreichen lassen, sich ablenken und eine um die andere Ausrede finden, nur um das dringend Notwendige nicht in Angriff zu nehmen.

Das Gute am Klimafahrplan: Er macht klar, vor welcher Mammutaufgabe wir gemeinsam stehen. Und er bildet einen guten Rahmen, um Politik und Verwaltung einzufordern. Denn genau das müssen wir tun: Damit er nicht geduldiges Papier bleibt, müssen wir alle in dieser Stadt uns mit ihm auseinandersetzen, seine Umsetzung einfordern und selbst dazu beitragen.

„Wir Wiener*innen profitieren bis heute von den mutigen und zukunftsweisenden Entscheidungen in der Vergangenheit.“ heißt es im Klimafahrplan. Lasst uns angesichts der Klimakrise hier und heute diese mutigen und zukunftsweisenden Entscheidungen treffen, auf dass unsere Kinder und Enkelkinder davon profitieren mögen.

Alle kursiv gesetzten Zitate stammen aus dem Wiener Klimafahrplan. Vollständig nachzulesen hier: https://www.wien.gv.at/spezial/klimafahrplan/