Ein Lichtzeichen zur Erinnerung

Ein Lichtzeichen zur Erinnerung

(13.11.2018) Vor 80 Jahren, in der Nacht von 9. auf 10. November 1938 brannten auch in Wien die jüdischen Bethäuser und Synagogen, brannte auch hier in der Schopenhauerstraße 39 der Währinger Tempel. Vom Nationalsozialistischen Regime organisierter und gelenkter Terror überzog das ganze Land, und auch unser Bezirk, auch Währing war keine Ausnahme.

Schon mit dem sogenannten „Anschluss“ im März waren jüdische Bürgerinnen und Bürger über Nacht entrechtet worden, waren gleichsam vogelfrei und der sich Bahn brechenden Brutalität, Rohheit und Gier schutzlos ausgeliefert. Nachbarinnen, Arbeitskollegen, Schulfreundinnen, Hausärzte waren plötzlich nicht mehr Nachbarin, Arbeitskollege, Schulfreundin oder Hausarzt – sondern nur noch „Jude“. Sie wurden diskriminiert, entlassen, mit Berufsverbot belegt, enteignet und gedemütigt.

Stellvertretend für die Vielen möchte ich Rosa Tramer zu Wort kommen lassen:

„Also, wir haben ein Parfümeriegeschäft gehabt. Erst in der Wattgasse, acht Jahre lang, und dann in Gersthof. Es war gleich bei unserer Wohnung. Gewohnt haben wir in der Wallrißstraße, Ecke Alsegger Straße, im 18. Bezirk, sehr schöne Gegend. No, wie der Hitler gekommen ist, wurde „Jude“ auf die Auslagen geschrieben, und auch die Kunden, die sonst sehr gerne zu mir gekommen sind, haben gesagt: „Frau Tramer, wir trauen uns nicht mehr hinein. Frau Tramer, das können wir leider nicht machen.“ Ich habe dann einen kommissarischen Leiter bekommen. Das ist irgendwann im Mai 1938 gewesen. Ich mußte natürlich auch am Bischof-Faber-Platz, das war gleich bei meinem Geschäft um die Ecke, das Pflaster reinigen. Da hat man mich geholt, damit ich das Pflaster aufwasche. Die Leute, die haben sich auf die Bäume gesetzt – dort ist ein Park am Bischof-Faber-Platz – und sie haben gerufen: „Jö, die Frau Tramer!“ Also, mit der Lauge mußte man dort das Pflaster abwaschen, die Hände waren dann von der Lauge ganz kaputt. Aber ich habe es gemacht, hab mich hingekniet. Eine andere, die sich nur gebückt hat, der hat einer einen Rempler in den Hintern gegeben, daß sie gleich hingefallen ist. Na ja, sicher hab ich die Schaulustigen gekannt, ich hab ja gehört: „Jö, die Frau Tramer!“ Wenn man ein Geschäft hat, ist man doch ein bißchen mehr bekannt. Das hat vielleicht zwanzig Minuten gedauert. Dann hat man gesagt, ich kann gehen. Also bin ich gegangen. Für das Geschäft hab ich nichts bekommen. Ich war froh, daß ich lebendig weggekommen bin. Ich hab mich nicht gekümmert, wir haben geschaut, daß wir wegkommen.“

Viele suchten so wie Rosa Kramer, ihr Mann und ihr Sohn nach diesen ersten Erfahrungen das Land so rasch wie möglich zu verlassen – MigrantInnen nicht aus freien Stücken, sondern zur Flucht und ins Exil gezwungen, um der weiteren Verfolgung und Ermordung zu entgehen.

Viele, wie der Schriftsteller Egon Friedell, damals wohnhaft in der Gentzgasse 7, begingen Selbstmord – wobei, Selbstmord ist wohl nicht das richtige Wort – und ich möchte an dieser Stelle den Schriftsteller Èric Vuillard aus seinem beeindruckenden Buch „Die Tagesordnung“ zitieren:

„In einer solchen Not verlieren die Dinge ihren Namen. Sie entfernen sich von uns, man kann nicht von Selbstmord sprechen. Egon Friedell hat keinen Selbstmord begangen. Keiner von ihnen hat Selbstmord begangen. Ihr Tod lässt sich nicht mit der mysteriösen Erzählung ihres eigenen Unglücks identifizieren. Man kann nicht einmal sagen, dass sie sich für einen würdigen Tod entschieden hätten. Nein. Keine innere Verzweiflung hat sie zerrüttet. Ihr Leid ist etwas Kollektives. Und ihr Selbstmord das Verbrechen eines anderen.“

Wenige konnten sich verstecken, als sogenanntes U-Boot überleben wie Marie Steinbach in der Höhnegasse – Jahre der Angst auf engem Raum, auf das Wohlwollen und vor allem den Mut anderer angewiesen, ständig in Gefahr, entdeckt und denunziert zu werden.

Und dann der unfassbare Schrecken der Deportierten, der Verschleppten, der in den Konzentrationslagern und Vernichtungslagern Ermordeten. Eine Eskalation der Barbarei.

Wir gedenken heute mit diesem Lichtzeichen nicht nur der Währinger Synagoge, die hier bis zum 9. November 1938 gestanden hat. Dieses Lichtzeichen soll auch und vor allem an die Menschen erinnern, an die Millionen Opfer. Es soll uns daran erinnern, dass Zivilisation, Frieden und Demokratie keine unumkehrbaren Prozesse sind, keine garantierten Zustände, sondern dass Ressentiments und Hetze, Rohheit und Brutalität auch wieder die Oberhand gewinnen können. Es soll uns daran erinnern, dass wir Menschen jeden Menschen als Mensch achten müssen, um selbst Mensch zu bleiben.

Das Projekt OT ist eine Kooperation des Jüdischen Museum Wien mit der Universität für Angewandte Kunst. An 25 Standorten in Wien wurden die von Lukas Maria Kaufmann entworfenen Lichtzeichen errichtet – zum Gedenken an die im November 1938 zerstörten Bethäuser und Synagogen. Dies ist der Text meiner Ansprache zur Eröffnung des Lichtzeichens für die ehemalige Währinger Synagoge.